Archidiakonus Zyliphar Branswein

Hochwürden Zyliphar, Archidiakonus des Ordens des Heiligen Golgari und Deuter Golgaris

 

Zyliphar Branswein ist kein Mann, wie man sich ihn gewöhnlich unter einem Geweihten des Herrn Boron vorstellt. Trüge er nicht die schlichte, schwarze Robe, der Gefolgschaft des Totengottes, würde wohl niemand dem stämmig gebauten, vor Leben strotzendem Mittvierziger seine Profession ansehen. Erst auf den zweiten Blick lassen die seltenen Worte und sparsame Gestik ahnen, welchem Gott sich Zyliphar verpflichtet hat.

Nicht ganz freiwillig wohlgemerkt - nachdem seine Eltern, ein Elenvinaer Händlerin und ein Kapitän aus Teremon, beim Untergang ihres Kauffahrtsschiffes ums Leben gekommen waren, wurde der Knabe von seinem Oheim in die Obhut eines nahe Teremon gelegenen Boron-Tempels gegeben. Zunächst viel es ihm schwer, sich der allgemeinen Gelassenheit abzufinden - hatte er doch gerade erst seine
Eltern verloren - doch nach einem visionären Erlebnis strebte der Novize mit aller Kraft seines Herzens nach der Weihe, die er schließlich im Götterlaufe 998 nach Bosparans Fall erlangte. Doch auch später noch sollte ihn, aller Frömmigkeit zum Trotz, der Drang zu weltlichen Dingen in Schwierigkeiten mit den Tempeloberen bringen. Die Stellung des zweiten Vorstehers der Halle zu Drol musste er nach einem unvorsichtigen Schäferstündchen mit einer jungen Witwe bald wieder aufgeben, wurde jedoch als Correspondent ins Offizium des Raben von Punin berufen. Dort fiel er dem erhabenen Bahram Nasir höchst selbst auf, den er mehrmals auf dessen Reisen begleiten durfte. Im Götterlauf 21 schließlich glaubte der Abuna, den passenden Verwendungszweck für den schwierigen Geweihten gefunden zu haben - auch wenn hohe Vertraute das anders sahen. Als Legat zum Orden vom Heiligen Golgari gesandt, stellt der zum Archidiakonus bestallte Zyliphar gewissermaßen das Bindeglied zwischen der Kirche und ihrem weltlichen Arm dar, und ist zugleich für das geistige Wohl des Ritterbundes verantwortlich.

Kurz nach seiner Berufung zum Archidiakonus wurde Branswein - vermutlich gemeinsam mit Lucardus von Kémet - Zeuge eines der schauderhaften Träume des Raben von Punin, die diesen die Wiederkehr Borbarads vorherahnen liessen. Möglicherweise wurde Zyliphar sogar in den Traum hineingezogen - er spricht darüber nicht. Zyliphars Treue zum Glauben ist seit dem jedoch unbestritten - er erhielt sogar das Privileg verliehen, den Stab Borons herbeizurufen.

Und mit einem Gebot scheint der Legat immer noch auf Kriegsfuß zu stehen: es ist schwer, den Archidiakonus zu reizen, aber wenn er einmal in Rage gerät, ähnelt mehr einem beleidigten Thorwaler als einem vergeistigten Geweihten.

Das kurz geschorene Haar des Archiakonus ist seit der Trollpfortenschlacht vollständig ergraut und zeigt gewaltige Geheimratsecken. Tagelanges Predigen und Beten auf den Knien während der Schlacht bescheren Zyliphar jetzt zuweilen auftretende Schmerzen in Knien und Rücken, seine Seele aber ist unversehrt, der Glauben fester denn je.

Seitdem hat der erste Großmeister Lucardus von Kémet Orden, Kirche und Zwölfgöttliche Gemeinschaft verraten, Pergamon, der ehemalige Komtur von Tobrien und Hilderich von Süderland, der ehemalige Kriegsherr der Golgariten, sowie die Mehrzahl der Ritter der Gründungszeit fielen und sind zu ewigen Rittern geworden oder können - wie Nottr von Twergentrutz ihre Aufgaben durch die Schrecken des Erlebten nur noch schwer erfüllen. Zyliphar Branswein ist einer der wenigen verbliebenen Ordensmitglieder der ersten Zeit. Dadurch und durch Position als oberster Geweihter hat er eine große Autorität. Zuweilen fällt es ihm aber schwer, die nachgewachsene Generation der Landmeister und Komture voll zu akzeptieren - er verlässt sich lieber auf alte Kämpe wie Gernot von Mersingen oder auch den neuen Komturen Tobriens und Ordensgroßkomturs Yann.

Eine weitere Schwäche - die auf ihren jeweiligen Einfluss bedachten, dem Orden angegliederten Geweihtengemeinschaften von Garrensand und
Trolleck - ist Branswein lästig. Deren Auseinandersetzungen bleiben aber meist unter der Oberfläche: in den theologischen Zielen gibt es
kaum Unterschiede, und Bransweins Machtwort hat noch nie jemand widersprochen. Trotzdem hofft der Archidiakonus, dass diese
Problemchen durch das Zusammenwachsen über kurz oder lang erledigt.

Über sein Verhältnis zur neuen Großmeisterin Borondria ist nichts bekannt.

 

Text: Fiete Stegers