Knappin Noëlia

Schwester Noëlia, Knappin vom Orden des Heiligen Golgari

 

Erscheinung

Mit einer Größe von 1,69 Schritt und einem eher athletischen als kräftigen Körperbau ist die meistens in eine schwarze Kapuzenrobe gehüllte Noelia auf den ersten Blick keine beeindruckende Erscheinung.

Wirft sie jedoch die Kapuze zurück, ist sie es gewohnt, dass man sie erschrocken anstarrt: Weiße Haare umrahmen ein weißes Gesicht, aus dem rote Augen ihr Gegenüber ruhig und ein wenig abweisend anblicken. Ihre heisere Flüsterstimme verstärkt den geisterhafte Eindruck noch. Um möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, versteckt sie sich meistens unter ihrer Kapuze und spricht möglichst wenig. Ihr Aussehen ist zwar ungewöhnlich, aber sie ist keineswegs hässlich. Ihr Gesicht besitzt eine – wenn auch gewiss fremdartige – Ästhetik, die ihr selbst überhaupt nicht bewusst ist.

Obwohl aus dem Süden stammend, meidet Noelia auffällig die Sonne, was einfach daraus resultiert, dass ihre weiße Haut und ihre Augen extrem lichtempfindlich sind.

 

 

Geschichte

Noëlia kam eines Tages schwer verwundet an Körper und Geist auf Burg Mersingen an. Es schien, als hätte ihr Pferd den Weg gewusst, denn die erschöpfte Kriegerin war nicht mehr dazu in der Lage, den Weg wahrzunehmen. Ihre schwer beschädigte Rüstung war notdürftig auf das Pferd geladen und außer einer zerfetzten Robe trug sie nichts weiter. Von Fieberschauern geschüttelt, klammerte sie sich mit letzter Kraft an das Pferd, das anscheinend sehr bemüht darum war, die Frau an einen sicheren Ort zu bringen. Sie trug weder eine Waffe, noch ein Schild, noch andere Ausrüstungsgegenstände bei sich – nichts, an dem man hätte erkennen können wer sie war und woher sie kam.

Aus ihren Fieberträumen konnte man sich schließlich zusammenreimen, dass ihr Weg sie wohl auf das Schlachtfeld der 3. Dämonenschlacht geführt hatte, wo sie nicht nur harte Kämpfe hatte bestehen müssen, sondern auch Dinge erlebt und gesehen hatte, mit denen ihr Geist nicht fertig werden konnte.

Während sie sich langsam erholte, lernte sie den Orden und den fremden Boron-Glauben des Nordens kennen und sie fühlte etwas, das sie nie zuvor gefühlt hatte: Sie war angekommen.

 

 

Persönlichkeit

Noëlia ist eine schüchterne junge Frau, die es auf der Suche nach ihren Wurzeln ins Mittelreich verschlagen hat. Ihr beherrschtes Auftreten täuscht oft, sie ist eine emotionale, durch die fremde Umgebung verunsicherte junge Frau, die früh gelernt hat, dass es im Leben nicht um sie geht und es oft besser ist,  Gefühle und Wünsche zurückzuhalten.

Entgegen ihrer Erziehung und ihren Überzeugungen ist sie heimlich aus Mengbilla aufgebrochen, um ihren Vater zu suchen und den Ränkespielchen ihrer Mutter zu entkommen. Die „Flucht“ vor ihrer Mutter belastet ihr Gewissen schwer, fühlt sie sich ihr doch trotz allem verpflichtet. Ihre Herkunft ist ihr größtes Geheimnis und freiwillig wird sie sie nicht offenbaren – weder die Tatsache, dass ihre Mutter ein Spross einer der größten und einflussreichsten Al'Anfaner Grandenfamilien ist, noch dass ihr Vater ein Abgänger der verschrieenen Halle der Geister zu Brabak ist, noch ihre Geburt in den Namenlosen Tagen.

In Luxus und Reichtum aufgewachsen, verabscheut sie jetzt jegliche Dekadenz zutiefst. Der Lebensstil ihrer Mutter hat sie einfach übersättigt. Laute Geräusche und intensive Gerüche empfindet sie als unangenehm – oft hat sie das Gefühl, es kann gar nicht still genug sein.

Wer es schafft, hinter Noelias ernsthafte Fassade zu blicken und ihr Vertrauen zu gewinnen, lernt eine  empfindsame Person kennen, die durchaus Sinn für Humor hat und tief in ihrem Innern die gleichen Wünsche und Sehnsüchte hegt, wie jede junge Frau in ihrem Alter.

Entgegen aller Vernunft hofft sich doch noch, dass ihr Vater auf der 'richtigen' Seite steht und sie als seine Tochter anerkennt, damit sie den Fängen ihrer Mutter endgültig entkommen kann.

 

 

Eines Nachmittags, nachdem Noëlia im Tempel mit ihrem Gebet fertig war, winkte Wanjescha die Kriegerin zu sich heran. Noëlia hatte sich mittlerweile an die offene Art der Geweihten gewöhnt und folgte dieser in das kleine Zimmer, in dem sie das erste Mal miteinander gesprochen hatten.

 

„Bitte, setz dich!“ bot Wanjescha ihr einen Platz an. „Ich wollte dich noch etwas fragen.“ In ihren Augen war nur leichte Neugier zu erkennen, es schien also keinen bestimmten Anlass für das Gespräch zu geben.

„Ich weiß bisher nur, dass du aus dem Süden stammst. Viel erzählst du ja nicht. Ich würde gerne mehr über dich wissen.“

Noëlia sah Wanjescha verwundert an. Die Neugier und fast schon an Geschwätzigkeit grenzende Gesprächigkeit dieser Boron-Geweihten erstaunten sie doch immer wieder. Diese lächelte bloß. „Du musst zugeben, dass es sehr ungewöhnlich ist, wenn – gerade hier – jemand von sich sagt, sie sei die Tochter einer Paligan und eines blutrünstigen Nekromanten. Das wirft doch die ein oder andere Frage auf. Wer genau sind deine Eltern?“

Noëlia seufzte. Es war zu erwarten gewesen, dass diese Fragen irgendwann kamen. „Meine Mutter ist Rayadés Imelda Praiociose Paligan. Sie hat meinen Vater, Yerodin Marboso Daimonion, wohl in Brabak auf der Akademie kennen gelernt.

„Deine Eltern sind beide Magier aus Brabak?“ unterbrach sie Wanjescha. „Wurde bei dir auch eine magische Begabung festgestellt?“ Noëlia schüttelte den Kopf und antwortete dann auch die erste Frage. „Ja, sie wurden beide dort ausgebildet. Meine Mutter hatte aber nie großes Interesse an der Ausübung von Magie. Sie war zufrieden damit, die Geschäfte der Paligans in Mengbilla zu vertreten und dort ein Leben in möglichst viel Luxus zu führen. Bei Yerodin sah das wohl anders aus… ihn hat es nicht lange bei ihr gehalten. Auf jeden Fall zog es ihn hinaus in die Welt, er wollte seine Fähigkeiten bis zum letzten auskosten. Mehr als eine flüchtige Affäre war das mit den beiden wohl nicht. Und ein Kind war das letzte, womit beide gerechnet hatten.“

Wanjeschas Versicherung, dass alles, was in diesem Raum beredet wurde, unter dem Siegel der Verschwiegenheit stand, ließ Noëlia offen über ihre Familie sprechen.

 „Du bist also in Mengbilla geboren? Weißt du sonst noch etwas über deinen Vater?“

Während sie nickte, sprach Noëlia weiter. „Nicht viel… außer, dass er ein sehr gut aussehender Mann war. Meine Mutter schwärmt immer noch von seinem Aussehen… und versteht nicht, wie aus mir so etwas werden konnte…immer wieder hat sie mich testen lassen, ob sich nicht doch irgendwann eine magische Begabung zeigt. Das hätte ihrer Meinung nach wenigstens mein Aussehen etwas ausgeglichen…“ Wanjescha sah sie missbilligend an. „Du sprichst nicht sehr gut von deiner Mutter.“ „Meine Mutter hat mir immer wieder vorgehalten, wie dankbar ich ihr dafür sein muss, dass sie mich überhaupt großgezogen hat“ antwortete Noëlia bitter. „Als sie bemerkte, dass sie schwanger war, wollte sie das Kind – also mich – zuerst so schnell wie möglich loswerden. Das hat sie mir oft genug erzählt. Es sei ihrer „großen Menschenfreundlichkeit“ zu verdanken, dass sie die Bürde meiner Erziehung auf sich genommen habe.“ Der Blick der Geweihten wurde etwas sanfter. „Du warst also kein gewolltes Kind?“ Noëlia verzog das Gesicht. „Nein… sie hat wohl gehofft, mich gewinnbringend verheiraten zu können. Umso enttäuschter war sie, als sie sah, was sie da geboren hatte.“ „So ein Mensch kann deine Mutter doch gar nicht gewesen sein, sie hat sich doch um dich gekümmert!“ warf Wanjescha ein. „Ihr habt ja keine Ahnung… in erster Linie hat meine Mutter sich immer um sich selbst gekümmert. Kaum war ich auf der Welt, wurde ich in die Arme einer Amme gedrückt. Sobald sie wieder bei Kräften war, wurde meine Geburt groß gefeiert. Aber ich weiß bis heute nicht, an welchem Tag ich eigentlich geboren wurde.“

„Immerhin hat sie sich dann doch über deine Geburt gefreut“ versuchte Wanjescha, Noëlia aufzumuntern. „Nein… sie hat sich darüber gefreut, ihr Leben endlich ohne die Last der Schwangerschaft weiterführen zu können“ erklärte Noëlia knapp. „Sie hat dafür gesorgt, möglichst selten an ihr Kind erinnert zu werden. Ihr Leben bestand aus Festen – vielmehr aus Orgien. Ab und zu hat sie sich um die ihr übertragenen Geschäfte gekümmert. Wohl nicht schlecht, irgendwie muss sie ja ihren Lebensstil finanziert haben. Bei uns sind mehr Männer und Frauen ein- und ausgegangen, als in Mengbillas Edelbordellen. Dass ein Kind im Haus lebt, hat meine Mutter nur dann gestört, wenn dieses Kind es wagte, den Kindermädchen zu entkommen. Einige Male gelang es mir so, Einblicke in das Treiben meiner Mutter zu erhaschen. Einblicke, die ich heute noch bitter bereue…“ Noëlia schwieg. Die ihr gegenüber sitzende Wanjescha sah sie erwartungsvoll an. „Diese Einblicke… es waren die einzigen Male, bei denen meine Mutter tatsächlich etwas für mich getan hat – wenn auch aus sehr egoistischen Motiven… wie könnte sie auch einen hohen Preis für eine Frucht erzielen, von der schon abgebissen wurde…“ Die Kriegerin sah bei diesen Worten zu Boden. Die oft so ernsthafte Ausstrahlung war von ihr abgefallen, in der kleinen Kammer saß nun die junge Frau, die sie eigentlich war und die um ihre Kindheit trauerte. Wanjescha sah sie erschrocken an und legte ihr vorsichtig eine große Hand auf die Schulter. „Du meinst… die Männer….?“ fragte sie leise. „Sie haben es versucht… Meine Mutter ging dazwischen. Ob ich ihr wichtig war oder der Wert meiner Jungfräulichkeit…ich weiß es nicht.

Wanjeschas Blick war teilnahmsvoll. „Du warst ihr bestimmt wichtig.“ Noëlia war anzusehen, dass sie dies der älteren Frau nicht glaubte.

„Jede Nacht… Musik, Gelächter, Stimmen… und andere Geräusche. Ich konnte kaum schlafen. Meine Mutter pflegte tagsüber zu schlafen, aber ich bekam Unterricht. Sie wollte ja etwas präsentieren können und irgendwie musste ich ja die Schande meines Aussehens ausgleichen. Also hat sie mich immer wieder in hübsche Kleidchen gesteckt und herausgeputzt, damit jeder sehen konnte, was sie für eine wundervolle Mutter ist. Meine Blässe und die Ringe unter den Augen erklärte sie mit einer schlimmen Krankheit, an der ich leiden würde. Oh, was ist sie für ihre Fürsorge bewundert worden…aber als ich tatsächlich an einem Fieber erkrankte, hat sie nicht einmal einen Medicus bezahlen wollen. So konnte dieses Fieber meine Stimme zerstören.“ Das alles schien aus Noëlia herauszusprudeln. Es war offensichtlich sehr lange her, dass ihr jemand zugehört hatte.

„Daher kommt also deine seltsame Stimme…“ stellte Wanjescha fest und reichte Noëlia einen Becher mit Wasser. „Bitte…sprich weiter!“

„Meine Mutter kümmerte sich nicht darum, ob ich schlafen oder lernen konnte. Es war ihr egal, ob ich im Haus war oder nicht. Meine Kindermädchen haben nur so gut auf mich aufgepasst, wie sie bezahlt wurden. So konnte ich die Stadt erkunden. Mengbilla ist ein gefährliches Pflaster, aber es traute sich wohl niemand, sich an der Tochter der Paligan zu vergreifen. Als ich eines Nachts wieder nicht schlafen konnte, weil meine Mutter ein rauschendes Fest gab, schlich ich mich wieder aus dem Haus hinaus in die Stadt. Ich strich durch die Straßen, bis ich plötzlich vor dem Boron-Tempel stand. Schon oft hatte ich vor diesem düsteren Gebäude gestanden und eine seltsame Anziehungskraft gespürt. Ich habe mich aber nie hineingetraut. An diesem Abend ging ich rein…niemand schien mich gesehen haben, also drückte ich mich ängstlich und neugierig an der Mauer entlang. In einer Nische setzte ich mich hin. Endlich war es still…irgendwann müssen mir wohl die Augen zugefallen sein. Die Geweihten haben mich nach Hause getragen und meiner Mutter angeboten, dass ich am nächsten Tag wiederkommen könnte.“

„So hast du also deinen Weg zu Boron gefunden…wie kommt es dann, dass du nicht direkt in seinen Dienst getreten bist?“ wollte Wanjescha wissen. „Meine Mutter… mal wieder. Da keine magische Begabung vorhanden war, wollte sie wenigstens etwas anderes nützliches mit mir machen. Eine Geweihte erschien ihr wohl nicht…. gewinnbringend genug zu sein. Also schickte sie mich zur Kriegerakademie. Sie hat meine Ausbildung bezahlt. Als ich fertig war, fing das Geschacher an… sie wollte unbedingt einen reichen Mann für mich finden. Aber ihre Bemühungen hatten nicht den gewünschten Erfolg.“ „Und was wolltest du? Hattest du schon jemanden?“ fragte Wanjescha, jetzt wieder neugierig. Noëlias Gesicht wurde traurig. „Nein…wer wollte sich denn schon mit jemandem wie mir abgeben? Die Männer, die vorgaben, an mir interessiert zu sein, wollten nur eine exotische Erfahrung machen, mit der sie dann angeben konnten. Ansonsten wurde ich ausgelacht.“ „Also hast du auf deine Mutter gehört?“ „Nein. Ich wollte nur noch weg.“

 „Aber was ist denn mit dem Rest deiner Familie? Hat sich niemand von denen um dich gekümmert?“ „Meine Mutter hat sich nie darum gekümmert, dass irgendjemand von meiner Geburt erfährt. Mehr als meinen Namen habe ich nicht von meiner Familie bekommen. Wenn ich keinen Halt im Glauben hätte, wäre ich völlig allein.“

Wanjescha lächelte ihr zu. „Jetzt nicht mehr. Jetzt bist du hier.“

 

 

Text: Eva-Maria Förster