Das Boron-Heiligtum Sankta Boronia

Unweit von Burg Devendoch, allerdings schon in der Baronie Pulverberg, direkt an der Reichsstraße I, und von einer dichten Nebelglocke vor gierigen Blicken verborgen, liegt das Heiligtum Sancta Boronia. Trotzig trohnt das tiefschwarze Gebäude in Sichtweite des schrecklichen Todeswalls. Zeitweilig durch den Heerzug der Untoten unterbrochen, hat sich Zahl der Besucher, die seit der Fertigstellung des Heiligtums und der Einsegnung durch seine Erhabenheit, Bahram Nasir, stetig erhöht, was zu einem allgemeinen Aufschwung in der Region geführt hat. Wo anderswo die Ritter des Heiligen Golgaritenordens ängstlich beäugt wird, sind sie hier schon zu einem gewohnten Bild geworden, nicht zuletzt auf Grund der allgemeinen Gastfreundschaft, die in Darpatien traditionsgemäß hochgehalten wird. Die ursprüngliche Zeltstadt der Handwerker und Tagelöhner ist längst einem befestigten Haus zu Füßen des Tempels gewichen. Zahlreiche Händler und Marketender haben sich im Ort Devensberg angesiedelt und versorgen die Pilger und Besucher mit allem nötigen. Immer wieder brechen Glücksritter von hier auf, um im blutgetränktem Boden der Umgebung nach Devotionalien zu suchen. 

 

Sancta Boronia, © Caryad

Der Schleier des Vergessens

Als sich die Tore des Todeswalls öffneten und unzählige Untote ausspuckten, baten die Geweihten in Gebeten, das Heiligtum vor den Dunklen Horden zu schützen. Wie schon einmal erhörte die Hl. Etilia, die Mutter Marbos, das Rufen der Menschen. Sie bewahrte Sancta Boronia am 16. Peraine 1027 BF vor dem Untergang und verhüllte alles im Radius von hundert Schritt. Seither umringt das Heiligtum ein dichter Nebelschleier, der an manchen Tagen das gesamte ehemalige Schlachtfeld der Dritten Dämonenschlacht umfassen soll. Diesen zu durchdringen, vermag nach des Dunklen Gottes Willen nur der wahrhaft Gläubige oder Hilfsbedürftige, der sich seiner Gnade anempfiehlt. Wer sich in die milchigen Nebelschwaden vorwagt, beginnt zu vergessen. In drei aufeinander folgenden Stufen, Altäre genannt, muss sich jeder den Prüfungen der Hl. Etilia stellen. Eine Umkehr ist jederzeit möglich, zieht aber tage-, oft wochenlange Gedächtnisstörungen sowie Schwindelgefühle nach sich. Dämonen und Paktierer können den umnebelten Bereich nicht betreten, da er zum heiligen Boden zählt.

 

Der Tempel

Die Tempelanlage selbst besteht aus sechs Gebäuden auf einem künstlich aufgeschütteten Hügel. Von den fünf Tempelgebäuden der Alveraniare, Bishdariel, Golgari, Marbo, Noiona und der Marbomutter Etilia, im Halbkreis umringt trotzt der schwarze, marmorne Hauptempel als Nabe des Boronsrads den Schrecken, die aus dem Osten drohen. Wenn sich zur Abendstunde Praios’ Auge zur Ruhe bettet, sickert der Nebel träge wabernd über den Wall. Während der eigentliche Tempel bereits weitgehend fertig gestellt ist, harren die anderen Schreinbauten in verschiedenen Stadien ihrer Fertigstellung. Das Heiligtum wird vom Hüter des Raben, Hochwürden Aedin zu Naris geführt, der als Sprecher dem Schweigenden Kreis der Puniner Boronkirche angehört und in Winhall einst seine Weihe erhielt.
Fünf Stufen führen hinauf zu dem aus schwarzem Marmor errichtetem Gebäude. Das Rundbogendach erhielt das Haus dann anlässlich der Einweihung des Heiligtums durch den Raben von Punin, dessen Schutz wichtigste Aufgabe der hier ansässigen Golgariten ist. Allgegenwärtiges Rabenkrächzen und die wabernden Nebelschwaden, die das Areal umgeben, verleihen der Anlage ein düsteres Flair, das durch die verwobenen Fresken am Kuppeldach noch verstärkt wird. Gemildert wird dieses Bild durch die überall auf dem Areal wachsenden Boronien mit ihrem intensiven Duft nach Lotus und südländischen Gewürzen. Mit unter scheint es, als gehe der Nebel von diesen Orchideen aus, die im Tsa 1027 BF als Geschenk des Patriarchen von Al´Anfa nach Boronia gelangten. Nicht Schrecken soll der Gläubige hier erfahren, sondern Trost. Nur wenig Zierrat schmückt den dunklen Tempel des Todesgottes, der stets von einer Hand voll wie in Trance wirkender Golgariten geschützt wird. Wenngleich das Gebäude auf den ersten Blick unheimlich auf den Betrachter wirkt, vermittelt es doch beim näher kommen ein Gefühl von Frieden und Geborgenheit. Dem Gläubigen stehen fünf von Rabenstatuen flankierte Eingänge offen, ein jeder einem der Alveraniare gewidmet. Über dem nach Osten ins Land der Toten weisenden
Golgari-Tor, ist die Inschrift des Puniner Borontempels eingemeißelt: "Du schuldest der Welt noch einen Tod."
Das Bishdariel-Tor erinnert den Menschen an die Unausweichlichkeit des Todes: "Mortem effugere nemo potest." - ("Dem Tod kann niemand entgehen.")
Das Marbo-Tor ziert die Weisheit: "Stipendium vitae mors est." - ("Der Lohn des Lebens ist der Tod.")
Über dem Etilien-Tor prangen die Worte des Kleinen Trostsegens: "Lacrimati Subridete" - ("Wenn ihr geweint habt, lächelt.)"
Der Spruch über dem Noioniten-Tor verspricht: “Der Tod betritt gleichsam die Hütten der Armen wie die Paläste der Reichen.“

 

Innenraum

Vorgedrungen in den Vorraum, verwehren fensterlose Mauern Praios´ Auge den Zutritt, so dass die Kandelaber an den Wänden das Tempelinnere in ein schummriges Zwielicht tauchen. So der Besucher für würdig befunden, führt der Weg in eine große Eingangshalle, die von Säulen gestützt, hoch aufragt. Auch hier sind die Wände mit schwarzen Vorhängen versehen, die das nur schwache Licht der Kerzen – von denen die meisten hinter Schirmen aus dünn geschabtem schwarzen Leder aufgestellt sind- noch aufzusaugen scheinen und so den Raum noch dunkler erscheinen lassen. An der Kuppeldecke soll nach Wunsch der Klerus eine Neuinterpretation des Puniner Totentanzes entstehen, die als Bannformel die Untotenplage dauerhaft fernhalten soll. Ein heiliger Akt, der Jahrzehnte intensiver Arbeit in Anspruch nehmen wird. Im Herzen des Gebäudes steht eine große, aus dunklem Obsidian geschlagene Statue - eine Menschengestalt mit Rabenkopf und ausgebreiteten Rabenschwingen- vor der die Gläubigen beten. Durch verdeckte Türen führt der Weg in die Sakristei, die durch ihre schlichte Schönheit besticht. Hinter der Statue führt eine Treppe in die unterirdischen Gelasse des Tempels. Das Kellergewölbe des Tempels soll Gerüchten nach, eine riesige Nekropole beherbergen. Wie nah sie damit der Wahrheit kommen, dürfte wohl den Wenigsten bewusst sein.

 

Tempelschatz

Der größte Schatz des Tempels sind zweifellos die in den Tiefen der Katakomben ruhenden Fingerknochen der Hl.Etilia, deren wundersame Kräfte sich beim Angriff der Dämonenknechte offenbarten. Daneben werden noch weitere, bisher nicht enthüllte Artefakte vermutet.


Text: Oliver Baeck und Tahir Shaikh